Verfall und De-Vesting von VSOPs nach Eigenkündigung

Dr. Cornelius Lindemann
Virtuelle Aktien- oder Anteilsoptionen gewinnen in Unternehmen zunehmend an Bedeutung, insbesondere in der Start-Up-Branche. Solche Virtual (Employee) Stock Option Plans, oft als VSOPs oder VESOPs abgekürzt, bieten Arbeitnehmern die Chance, am wirtschaftlichen Erfolg ihres Arbeitgebers teilzuhaben. Arbeitgeber nutzen sie gerne, um Arbeitnehmer langfristig an ihr Unternehmen zu binden.
VSOPs ähneln klassischen Aktienoptionen, unterscheiden sich jedoch in einem wichtigen Punkt: Es findet kein tatsächlicher Aktienerwerb statt, dieser wird vielmehr als vertraglicher Anspruch nachgebildet. Je nach Vertragsgestaltung wird festgelegt, dass diese Optionsrechte nicht sofort, sondern erst nach Ablauf einer gestaffelten Frist ausgeübt werden können (sog. „Vesting-Periode“). Sind VSOPs in diesem Sinne „gevestet“, können die Optionen ausgeübt und in einen – nicht nur virtuellen – Zahlungsanspruch umgewandelt werden. Wann und unter welchen Bedingungen die Optionen ausgeübt werden können, hängt von der Gestaltung ab. Gerade im Start-Up-Bereich ist dies vielfach nur bei einem sog. Exit-Event möglich, d.h. bei einem Verkauf oder Börsengang des Unternehmens.
Doch wie verhält es sich, wenn das Arbeitsverhältnis endet, nachdem die Optionen „gevestet“, aber bevor sie ausgeübt wurden? Ist es insbesondere zulässig, dass „gevestete“ Optionen nach einer Eigenkündigung verfallen?
Bisher hielt das BAG einen Verfall bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses für zulässig. (Virtuelle) Aktienoptionsrechte konnten an das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses geknüpft werden (Urt. v. 28.5.2008 – 10 AZR 351/07). Insoweit hatte das BAG eine Ausnahme von seiner Rechtsprechung zu Sonderzahlungen anerkannt: Denn grundsätzlich sind sog. Stichtagsklauseln – also Klauseln, die die Zahlung der Sonderleistung vom ungekündigten Bestand des Arbeitsverhältnisses zu einem bestimmten Zeitpunkt abhängig machen – unzulässig, wenn der Vergütungsbestandteil (zumindest auch) Vergütung für geleistete Arbeit ist und nicht nur Betriebstreue honoriert. Bei (virtuellen) Aktienoptionen war dies nach dem BAG anders zu beurteilen, da diese einen „ungleich größeren spekulativen Charakter“ als andere Sonderzahlungen hätten.
In einer aktuellen Entscheidung (Urt. v. 19.3.2025 – 10 AZR 67/24), zu der bislang nur die Pressemitteilung vorliegt, hat das BAG seine bisherige Rechtsprechung nun offenbar aufgegeben: Gegenstand der Entscheidung waren sog. „De-Vesting-Klauseln“, nach denen bereits „gevestete“ Optionen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses entweder sofort verfallen oder doppelt so schnell verfallen, wie sie „gevestet“ sind. Nach Auffassung des BAG waren diese „De-Vesting-Klauseln“ im entschiedenen Fall unzulässig und somit unwirksam. Die (virtuellen) Optionen seien im konkreten Fall „auch eine Gegenleistung“ für die erbrachte Arbeitsleistung. Der sofortige Verfall „gevesteter“ Optionen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses berücksichtige die Interessen des Arbeitnehmers, der seine Arbeitsleistung bereits erbracht hat, nicht angemessen. Damit scheint das BAG bei (virtuellen) Aktienoptionen keine Ausnahme mehr von seiner Rechtsprechung zu Stichtagsklauseln machen zu wollen – jedenfalls wenn es um bereits gevestete Optionen geht. Über den Verfall noch nicht „gevesteter“ Optionen hatte das BAG nicht zu entscheiden.
„De-Vesting“-Klauseln in VSOP-Programme sollten nach dieser Entscheidung des BAG auf den Prüfstand gestellt werden. Bei VSOP-Programmen, die entweder einen Entfall der VSOPs oder ein zügiges „De-Vesting“ vorsehen, muss davon ausgegangen werden, dass Mitarbeiter, die nach einer Eigenkündigung ausscheiden, zumindest noch eine erhebliche Zeit nach der Kündigung auf den wirtschaftlichen Erfolg ihres ehemaligen Arbeitgebers spekulieren dürfen.