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Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Nachtarbeitszuschlägen


Ausgabe Oktober 2025
Geschrieben von

Dr. Richard Petras

Mit Beschluss vom 11. Dezember 2024 (1 BvR 1109/21) hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Tarifautonomie gestärkt. Das BVerfG hat entschieden, dass eine tarifvertragliche Regelung, die unterschiedlich hohe Nachtarbeitszuschläge für unterschiedliche Arten der Nachtarbeit vorsieht, nur einer sehr eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliegt.

Zum Hintergrund: Tarifverträge sehen zuweilen einen erheblich höheren Zuschlag für unregelmäßige Nachtarbeit (z.B. Zuschlag von 50%) als für regelmäßige Nachtschichtarbeit (z.B. Zuschlag von 25%) vor. Die Begründung hierfür ist, dass unregelmäßige Nachtarbeit oft eine stärkere Belastung darstellt, weil sie weniger planbar ist.

Das BAG sah darin dennoch zuletzt eine Ungleichbehandlung und entschied in Urteilen vom 9. Dezember 2020 und vom 22. März 2023, dass die Zuschläge auch für Nachtschichtarbeiter nach oben auf den höheren Satz angeglichen werden müssen (sog. „Anpassung nach oben“). Dies hatte für Arbeitgeber hohe Mehrkosten zur Folge, da regelmäßige Nachtschichtarbeit in wesentlich größerem Umfang geleistet wurde als unregelmäßige Nachtarbeit. Zur Begründung führte das BAG an, dass der allgemeine Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG als fundamentale Gerechtigkeitsnorm eine ungeschriebene Grenze der Tarifautonomie bilde und auch von den Tarifvertragsparteien im Rahmen ihres Gestaltungsspielraums nicht überschritten werden dürfe. 

Das BVerfG hob nun beide Urteile auf und widersprach der Begründung des BAG:

Das BAG habe die grundgesetzlich garantierte Tarifautonomie der Tarifvertragsparteien nicht hinreichend berücksichtigt. Das BVerfG betonte, dass den Tarifvertragsparteien bei der Ausgestaltung der tarifvertraglichen Regelungen ein großer Spielraum zustehe. Eine gerichtliche Kontrolle der Tarifnormen sei – auch hinsichtlich des Gleichbehandlungsgrundsatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG – auf eine Willkürkontrolle beschränkt. Diesen Prüfungsmaßstab habe das BAG verkannt.

Eine willkürliche Ungleichbehandlung konnte das BVerfG ferner nicht erkennen. Sachliche Gründe für die Differenzierung seien etwa in Gestalt der unterschiedlichen sozialen Belastungen infolge der unterschiedlichen Planbarkeit, der Verteuerung von Nachtschichtarbeit für den Arbeitgeber sowie der intendierten Steigerung der Motivation zur Erbringung von Nachtarbeit aufgrund des erhöhten Zuschlags objektiv erkennbar.

Des Weiteren entschied das BVerfG, dass das BAG selbst dann eine „Anpassunge nach oben“ (Angleichung des Zuschlags von 25% auf 50%) nicht hätte vornehmen dürfen, wenn eine Ungleichbehandlung vorgelegen hätte. Die Gestaltung und Änderung von Tarifverträgen stehe primär den Tarifvertragsparteien zu. Selbst bei Feststellung eines Gleichbehandlungsverstoßes müsse diesen daher zunächst die Chance zur tarifvertraglichen Korrektur gegeben werden.

Das BVerfG hat damit in bemerkenswerter Weise die Tarifautonomie der Tarifvertragsparteien gestärkt. Die Entscheidung überzeugt. Im Hinblick auf die Tarifautonomie der Tarifvertragsparteien dürfen Tarifnormen auch hinsichtlich etwaiger Verstöße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliegen. Ebenso richtig und zu begrüßen ist, dass Arbeitsgerichte – selbst bei einer unterstellten ungerechtfertigten Ungleichbehandlung – nicht einfach eine „Anpassung nach oben“ vornehmen dürfen. Es obliegt nicht den Gerichten, nach der aus ihrer Sicht „besten“ Lösung zu suchen, sondern dies ist Verantwortung der sachnäheren Tarifparteien.