Arbeitsrechtliche Vorhaben im neuen Koalitionsvertrag

Dr. Matthias Münder
Mit „Verantwortung für Deutschland“ ist der neue Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD überschrieben. Was verstehen die Koalitionspartner darunter für den Bereich des Arbeitsrechts?
Die Koalitionäre werden den Mindestlohn – anders als noch bei der Anpassung auf EUR 12,00 – nicht per Gesetz erhöhen. Ein Mindestlohn von EUR 15,00 im Jahr 2026 sei aber „erreichbar“. Hierfür solle sich die Mindestlohnkommission bei den Beratungen über die Mindestlohnerhöhung in Zukunft an zwei Kriterien (die Tarifentwicklung und den Wert von 60% des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten) orientieren. Dies hat die Kommission offenbar bereits in ihre Geschäftsordnung aufgenommen. Sollte die Mindestlohnkommission keine Erhöhung auf mindestens EUR 15,00 empfehlen, kann sich die SPD laut Generalsekretär Matthias Miersch vorstellen, gesetzgeberisch aktiv zu werden.
Zusätzlich möchte die künftige schwarz-rote Koalition die Tarifbindung steigern: Das in der letzten Legislaturperiode gescheiterte Bundestariftreuegesetz soll nun kommen. Bei Vergabeverfahren auf Bundesebene ab einem Schwellenwert von EUR 50.000,00 sollen künftig nur Unternehmen zum Zug kommen, die den beim öffentlichen Auftrag eingesetzten Mitarbeitern ausgewählte tarifliche Arbeitsbedingungen gewähren. Wie bereits in der Ampel-Koalition vereinbart und am Widerstand der FDP gescheitert, sollen ferner Gewerkschaften ein digitales Zugangsrecht zu Betrieben erhalten, insbesondere also auf betriebsinternen digitalen Kommunikationskanälen die Belegschaft informieren und für die Mitgliedschaft werben dürfen. Die Mitgliedschaft in Gewerkschaften soll außerdem durch steuerliche Anreize gefördert werden.
Auch das Arbeitszeitrecht soll reformiert werden: Anders als bislang soll es künftig keine tägliche, sondern eine wöchentliche Höchstarbeitszeit geben. Damit könnten Mitarbeiter bei entsprechendem Ausgleich an einem anderen Wochentag auch länger als zehn Stunden arbeiten. Die nach der Rechtsprechung von EuGH und BAG bereits bestehende allgemeine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung soll nun „unbürokratisch“ geregelt und mit „angemessenen Übergangsregeln für kleine und mittlere Unternehmen“ versehen werden. Vertrauensarbeitszeit soll ohne Zeiterfassung „im Einklang mit der EU-Arbeitszeitrichtlinie“ möglich bleiben. Eine so verstandene Vertrauensarbeitszeit dürfte allerdings gerade europarechtswidrig sein. Zugleich beabsichtigt die künftige Koalition, Arbeitnehmer zu mehr Arbeit zu motivieren – durch die steuerliche Begünstigung einer Prämie bei Ausweitung von Teilzeitarbeit und durch die Steuerfreiheit von Mehrarbeitszuschlägen. Auch hier kündigt sich ein Konflikt mit dem EuGH an, da die Zuschläge nur steuerfrei sein sollen, wenn sie für Mehrarbeit gezahlt werden, die über die tariflich vereinbarte oder an Tarifverträgen orientierte Vollzeitarbeit hinausgeht. Für Teilzeitbeschäftigte wird es daher schwieriger sein, in den Genuss der Steuerfreiheit von Mehrarbeitszuschlägen zu kommen. Darin könnte der EuGH im Einklang mit einer Entscheidung, über die wir in unserem letzten Newsletter berichtet hatten, eine Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten sehen.
Im Betriebsverfassungsrecht sollen Online-Betriebsratssitzungen erleichtert und Online-Betriebsversammlungen ermöglicht werden. Ferner sollen auch Betriebsratswahlen künftig online stattfinden können. Im Angesicht von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz soll die Mitbestimmung „weiterentwickelt“ werden – so die vage Formulierung im Koalitionsvertrag.
Zur „bürokratiearmen“ Umsetzung der europäischen Entgelttransparenz-Richtlinie wird die Koalition eine Kommission einsetzen, die bis Ende 2025 Vorschläge unterbreiten soll. Diese Richtlinie soll die gleiche Vergütung von Männern und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit fördern und sieht hierfür u.a. Auskunftsansprüche, Berichtspflichten und Bußgelder vor (näher hierzu in unserem Newsletter April 2024).
Schließlich lässt aufhorchen, dass Schriftformerfordernisse „insbesondere im Arbeitsrecht (zum Beispiel bei Befristungen)“ abgebaut werden sollen. Arbeitsverhältnisse mit Personen, die die Regelaltersgrenze erreicht haben, sollen rechtssicher sachgrundlos befristet werden können, in dem für diese Personen das sog. Vorbeschäftigungsverbot aufgehoben wird, das eine sachgrundlose Befristung verbietet, wenn zuvor ein Arbeitsverhältnis zum selben Arbeitgeber bestanden hat.
Alles in allem sind im Koalitionsvertrag neben kleineren Vorhaben vier größere arbeitsrechtliche Gesetzespakete angelegt: Tarifbindung, Arbeitszeit, Betriebsverfassungsrecht und Entgelttransparenz. Die Erfahrung zeigt, dass nicht alle im Koalitionsvertrag vereinbarten Vorhaben auch umgesetzt werden. Insofern ist anzunehmen, dass das SPD-geführte Bundesministerium für Arbeit und Soziales „SPD-Themen“, wie Maßnahmen zur Stärkung der Tarifbindung vorantreiben und „Unions-Themen“, wie den Wechsel zur wöchentlichen Höchstarbeitszeit eher schleppend bearbeiten wird. Für die Umsetzung der Entgelttransparenz-Richtlinie wird das unionsgeführte Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend zuständig sein.